Renke Korn
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 Die Reise des Engin Özkartal . . .

Die Reise des Engin Özkartal von Nevsehir nach Herne und zurück

Süddeutsche Zeitung  v. 21. 6. 75

“Mit der bloßen Kopie von Arbeit und Arbeitern ist es nicht getan - die Wirklichkeit ist allemal interessanter. Nötig ist, sie in ihren ökonomischen Zwängen einsichtig zu machen. Daher meiden auch die Dramatiker die Arbeitswelt, drücken sich die Theater vor Arbeitswelt-Stücken. Kroetz`  »Heimarbeit«, Henkels »Die Betriebsschließung« oder Mühls »Rosenmontag« sind ( kaum ) über die Uraufführung hinausgekommen. Steht ähnliches auch Renke Korns Gastarbeiterstück »Die Reise des Engin Özkartal von Nevsehir nach Herne und zurück« bevor? Das Stück, eine Auftragsarbeit des Landestheaters in Tübingen, ist simpel gebaut; es zeigt, wie der Autor sagt, die Stationen einer »Bildungsreise« des Türken Engin Özkartal, der in seiner Heimat keine Arbeit findet,Engin1  Aus der Uraufführung am Landestheater Tübingen     Ganz rechts Urs Hefti als Engin Özkartal        Foto: Jürgen Killmann

in die Bundesrepublik geht ( noch vor der Rezession! ), sich dort bis zum Akkordarbeiter hochschuftet, der Konjunkturflaute zum Opfer fällt, es mit Schwarzarbeit versucht und schließlich in die Heimat abgeschoben wird: Das erste Stück eines deutschsprachigen Autors über die Probleme der Gastarbeiter; es ist darüber hinaus ein Stück über die Ware »Arbeit«.

Korn zeigt ihn, Engin Özkartal, als Hilfsarbeiter in einer Großschlächterei, wie die deutschen Kollegen den Fremden, »Sprachlosen« ausnützen, aus Furcht vor der »billigen« Konkurrenz ihre Vorurteile ausspielen, wie sich Freundschaften ( mit Landsleuten ) und Liebschaften entwickeln, wie sich Engin in seine neue Heimat integriert, Bilder, wie man sie zu kennen glaubt, knapp, skizzenhaft, gelegentlich nahe der Karikatur, dennoch präzise einen Zustand beschreibend: Arbeiterwelt, am Beispiel derer, die sich am stärksten entfremden müssen. Arbeit nicht als Grundrecht, sondern als Glück und Trug. Engin träumt in  ( lyrisch überhöhten ) Selbstgesprächen, in Briefen an die Familie von der glückhaften Zukunft ( Hotel ), die ihm seine Gastarbeit ermöglichen soll, der Verlust der Arbeit macht alles zunichte, da klammert er sich selbst an sein Elendsquartier, an unterbezahlte Schwarzarbeit, nur um nicht in Schande heimzukehren. Engin überbietet am Fließband den Akkord, um möglichst schnell möglichst viel zu verdienen und schadet damit nur sich und seinen Kollegen.

Die Tübinger Aufführung ( Regie: Reto Babst ) zeichnet die Stationen dieser ´Bildungsreise` präzise nach, setzte, bemüht um einen realistischen, volkstheaterhaften Ton, auf den Spaß des Wiedererkennens. Die schönsten, einprägsamsten Szenen: wie Urs Hefti, der vorzügliche Engin Özkartal, sich sprachlos in seiner neuen Umgebung zurechzufinden sucht, wie er sich, so noch wehrlos, in das »Vergnügen« Arbeit stürzt - seine einzige Möglichkeit der Kommunikation. Das ist auch ein Exkurs über Sprache, über die Erfindung von Verständigungsmöglichkeiten, über die Wehrlosigkeit, ohne die Waffe des Wortes: wie dieser Engin geduckt neugierig, mit aufgerissenen Augen auf ein Zeichen, ein Wort in den radebrechenden Monologen der deutschen Kollegen lauert, das ihm gilt, wie er dann, als er den Rettungsanker findet, Selbstvertrauen gewinnt, Gesprächspartner wird. Und die Welt der Arbeit? Da haben Reto Babst und der Bühnenbildner Bernd Holzapfel einen simplen, theatergemäßen Kompromiß gefunden: Engin schleppt Schweinehälften, wuchtet Konservenkisten, bohrt Metallteile in immer gleichen, lange ausgespielten Gängen, Bewegungen, Handreichungen; die Requisiten kehren immer wieder - der Kreislauf als Inbegriff der schweißtreibenden Eintönigkeit.

»Die Reise des Engin Özkartal von Nevsehir nach Herne und zurück« , dieses Stück vergnüglichen lehrhaften Zuschautheaters, war die letzte Premiere am Landestheater Tübingen unter der Intendanz von Manfred Beilharz. Beilharz geht nach Feiburg, sein Nachfolger in Tübingen wird der bisherige Memminger Intendant Alf Reigl - die Kontinuität im Bemühen um ein kritisches Volkstheater in der Provinz scheint sicher. Beilharz hat an seinem, durch Abstecherverpflichtungen belasteten Thater ohne viel Aufhebens geleistet, was an anderen Orten Schlagzeilen machte. Er hat ein wohl funktionierendes Mitbestimmmungsmodell eingeführt, und er hat, trotz harter Konkurrenz der Tourneeunternehmen, beim Publikum dieses kritische Volkstheater durchgesetzt, klares, sinnliches Theater, das auf die Lust der Erkenntnis setzt.” Thomas Thieringer

 

Vgl. auch das Interview mit Renke Korn zu diesem Stück